Ein Bericht von Stephan SchOEttl (AllgAEuer Zeitung)

Vor einem Jahr kämpfte der ESC Kempten um den Aufstieg in die Bayernliga. Nur noch ein Sieg gegen den VfE Ulm/Neu-Ulm fehlte den Sharks – dann kam die Corona-Pandemie dazwischen. Was seitdem passiert ist

Kempten Klar, an diesen Tag können sie sich alle noch sehr gut erin-nern. An diesen Freitag, den 13., im März 2020. Es hätte der bislang größte Tag in der jungen Geschichte des ESC Kempten werden sollen. Ein Sieg im entscheidenden Play-off-Spiel gegen den VfE Ulm/Neu-Ulm. Ausverkauftes Haus, Aufstieg in die Bayernliga, riesige Party mit den Fans. Doch Corona ließ den Traum platzen.

Auf den Tag genau vor einem Jahr, wenige Stunden vor dem großen Finale, wurde die Partie vom Bayerischen Eissport-Verband abgesagt. Es war, um im Eishockey-Jargon zu bleiben, wie ein fieser Check gegen die Bande. Der ganze Verein war für einen kurzen Moment niedergestreckt. „Da war erst einmal nur Leere“, sagt Marcus Kubena, zweiter Vorsitzender des ESC heute rückblickend. Zu unsicher war die Pandemie-Lage zu diesem Zeitpunkt. Man wusste noch recht wenig über Co-vid-19. Jede Nachricht von weiteren Neuinfektionen schürte Angst. Dabei waren die Stadien wenige Tage zuvor noch rappelvoll. Ohne Hygienekonzepte, eng an eng auf der Tribüne. „Schon verrückt, ja. Und heute diskutieren wir darüber, ob und wann wir überhaupt wieder vor Zuschauern spielen dürfen“, meint Kubena. Die Spieler der Sharks hatte die Nachricht vom abrupten Saisonende damals auf dem Weg ins Training erreicht. Torwart Fabian Schütze hat noch fast jedes Detail dieses bit-teren Augenblicks im Kopf. Die Mannschaft sei bereits voll fokussiert auf das letzte, das entscheidende Spiel gewesen. In der Kabine herrschte angespannte Stille. „Und mit einem Mal war alles vorbei. Wir sind dann auch gar nicht mehr raus aufs Eis und haben die Einheit aus-fallen lassen. Wir haben uns Essen und Trinken bestellt und sind noch lange zusammengesessen. Anschließend haben die ersten Spieler schon ihre Spinde geräumt und Equipment zurückgegeben. Es war ein jähes Ende, ein ganz komischer Abend“, erzählt er.

In diesem Zusammenhang fällt immer wieder auch der Begriff „unvollendet“. Die Krönung einer starken Saison blieb aus, den Lohn für ein Jahr harte Arbeit gab es nicht. Schütze, mit 24 Jahren noch ein junger Spieler, traf es letztlich besonders hart. Es hätte zwar der dritte Aufstieg in seiner Laufbahn werden sollen, aber der erste, an dem er selbst eine Schlüsselrolle spielte.„Als ich mit Sonthofen aufgestiegen bin, war ich dritter Torwart. Als es mit Füssen von der Landes- in die Bayernliga nach oben ging, war ich im entscheidenden Spiel verletzt. Und jetzt, beim dritten Anlauf, konnte ich mich nicht mehr beweisen. Das fühlt sich tatsächlich unvollendet an“, sagt er. Zu diesem Zeitpunkt wusste Schütze auch noch nicht, dass es sein letztes Spiel im Kemptener Dress gewesen wäre. Der Torwart ist im Sommer zu seinem Heimatverein nach Sonthofen zurückgekehrt. „Diesen Entschluss habe ich aber erst im Frühjahr ge-fasst. Da kamen mehrere Faktoren zusammen“, erklärt der 24-Jährige.

Genau 365 Tage sind seit diesem Freitag, den 13., vergangen. Ein Jahr, in dem das Infektionsgeschehen ordentlich an Fahrt aufgenommen hat. Zwölf Monate, die für den ESC Kempten geprägt waren von Hoffen und Bangen. Nach dem Lockdown im Frühjahr ging es schon Anfang September wieder aufs Eis. Über den Sommer hatten die Vereinsverantwortlichen umfassende Konzepte für den Trainings- und Spielbetrieb erarbeitet. Das Stadion wurde umgerüstet, behördliche Vorgaben wurden umgesetzt. Und im Oktober wurde tatsächlich in der Bayernliga wieder um Punkte gespielt. „Wir haben uns ganz gut geschlagen, super mitgehalten. Das wäre ein richtig tolles Jahr für uns und unsere Fans geworden“, glaubt Trainer Carsten Gosdeck. Hätte, wenn und aber. Am 1. November war vorzeitig Schluss. Schon wieder. Die Politik schob dem Amateursport erneut den Riegel vor, das geplante Heimspiel gegen Klostersee wurde abgesagt. Der ESC Kempten verabschiedete sich mit einer 2:5-Niederlage zwei Tage zuvor in Waldkraiburg in den nächsten Lockdown.

Auch für den Nachwuchs war das ein schwerer Schlag. Für die Buben und Mädchen war die Saison vorbei, bevor sie überhaupt richtig begon-nen hatte. Das macht dem zweiten Vorsitzenden Marcus Kubena große Sorgen. Er sagt: „Ein Jahr ohne Männer-Eishockey tut weh, ist aber zu verkraften. Aber der Nachwuchs muss dringend wieder Sport machen dürfen. Die Kinder und Jugendli-chen sind unsere Zukunft. Wir sind ein Ausbildungsverein.“ Das Bild, das er zeichnet, ist düster. Weil es derzeit keinen Erfolg der ersten Mannschaft gibt, fehle die Eis-hockey-Euphorie in der Stadt. Auf den Pausenhöfen der Schulen werde nicht über die Sharks geredet. „Wir kommen an die Kinder einfach nicht ran. Das werden wir noch zu spüren bekommen“, meint der zweite Vorsitzende.

Fabian Schütze sieht das ähnlich und erzählt von Gedanken, die er sich im Lockdown gemacht hat. Gedanken über ein mögliches Karrie-reende. Gedanken über einen Wechsel ins Trainergeschäft. „Die vergangenen Monate waren für mich Fluch und Segen zugleich. Ich vermisse Eishockey, überhaupt keine Frage. Aber ich habe über all die Jahre dem Sport auch vieles unter-geordnet und habe auf einiges ver-zichtet, um zum Spiel immer auf den Punkt fit zu sein. Ich habe es daher sehr genossen, plötzlich Zeit für Skitouren zu haben, Snowboarden und Langlaufen gehen zu können. Aber letztlich ist Aufhören für mich keine Option. Ich will mir selbst auf dem Eis noch so viele Sachen bewei-sen“, erzählt er. Auch Trainer Carsten Gosdeck bleibt am Puck. Für ihn haben längst die Planungen der nächsten Saison begonnen. „Auch wenn es da natürlich noch jede Menge Frage-zeichen gibt“, sagt er. Testspieltermine sind bereits angefragt, Gespräche mit potenziellen Neuzugängen hat er schon geplant. Ab April will er seinen Spielern individuelle Pläne fürs Sommertraining an die Hand geben.

Gosdeck geht von einem Saisonstart im Oktober aus und sagt:„Wenn zu diesem Zeitpunkt Sport in der Halle immer noch nicht er-aubt sein sollte, haben wir ganz an-dere Probleme in Deutschland. Sportlich wie wirtschaftlich.“

(QUELLE ALLGÄUER ZEITUNG)